Wanderung St-Léonard - Tsampon - Sion
Höhenrausch und Höhlenplausch
Wanderzeit: 4 h 30 min
Schwierigkeitsgrad: T3 Anspruchsvolles Bergwandern *
Saison: Mai - November
Zur beliebten Suonenwanderung von St-Léonard nach Sion gibt es eine weniger bekannte, knackige Alternative. Im Unterschied zum Chemin du vignoble ist der Abstecher in die Schlucht der Liène kein Spaziergang, sondern eine deftige Bergwanderung, die sich nur für schwindelfreie Berggänger eignet. Ausserhalb des Siedlungsgebiets verläuft die Tour praktisch durchwegs auf Naturbelag.
Detaillierte Routenbeschreibung
Die Tour entlang des Bisse de Clavau ist ein Klassiker unter den Walliser Suonenwanderungen. Als Teilstück des Chemin du vignoble führt sie von St-Léonard nach Sion, dauert etwas mehr als zwei Stunden und ist damit ein leichter Spaziergang, den man dank der sonnigen Lage zu jeder Jahreszeit unternehmen kann. Allerdings ist diese Wanderung gleichsam nur die halbe Wahrheit; der erwähnte Bisse (Bewässerungskanal) ist nämlich noch deutlich länger. Er nimmt seinen Anfang in der Schlucht der Liène und folgt der Westflanke des Seitentals, bis dieses ins Rhonetal mündet. Ein Wanderweg säumt ihn auf seiner ganzen Länge. Wie es in der Natur der Sache liegt, weist dieser kaum Höhendifferenzen auf, da er fast durchwegs dem künstlich angelegten Bächlein folgt.
Der Abschnitt lässt sich ausgezeichnet mit einem weiteren Suonenweg kombinieren, der jedoch einen ganz anderen Charakter aufweist: Wer dem Bisse du Sillonin folgt, darf keinen gemütlichen Bummel durch aussichtsreiche Weinberge erwarten, sondern muss sich auf eine ziemlich abenteuerliche Passage in einer nahezu senkrechten Felswand gefasst machen. Der Abschnitt ist als Bergwanderweg signalisiert – Schwindelfreiheit ist hier unabdingbar. Wer sich auf den Weg macht, kann sich auf ein wunderbares Bergerlebnis und auf spektakuläre Aussichten freuen.
Von der Bahnstation St-Léonard geht es an Gewerbe- und Wohnbauten vorüber zum alten Dorfkern hinauf, dann auf Kieswegen und zwischendurch kurz auch auf Asphaltsträsschen durch Weinberge weiter aufwärts. Die Rundsicht über die langen Reihen von Rebstöcken hinweg ins Rhonetal weitet sich zusehends. Bei der Wegverzweigung Les Planisses gilt es sich zu entscheiden: Der Bergweg geradeaus führt direkt zum Bisse de Sillonin. Wer sich die teilweise ausgesetzte Passage nicht zutraut, schwenkt auf den hangwärts abzweigenden, in Richtung Sarmona/Lens/Montana signalisierten Wanderweg ein (mit einem zusätzlichen Auf-/Abstieg von 130 Höhenmetern umgeht dieser den Steilhang an der Ostseite der Liène-Schlucht).
Nach einem kurzen Abschnitt im Wald öffnet sich die Sicht in den tiefen Schlund, den der Bergbach Liène ins Gelände gegraben hat. Schon bald gibt es reichlich Luft unter den Sohlen: Der stellenweise nur knapp einen halben Meter breite Pfad zieht sich durch den nahezu senkrechten felsigen Hang. Ein dickes Hanfseil dient als Geländer und Haltemöglichkeit. Der spektakuläre Abschnitt bietet eindrückliche Tiefblicke in den Abgrund. Er endet mit einem steilen Treppenaufstieg, der abrupt in einen breiten Waldweg übergeht. In weiten Kehren und sanft absteigend zieht sich dieser zur Liène hinunter. Diese fliesst hier durch ein bewaldetes Tälchen, ehe sie sich weiter unten in die wilde Schlucht stürzt, in die man vorhin noch auf dem Suonenweg geblickt hat.
Am Gegenhang geht es nun praktisch ebenen Wegs talauswärts. Hier beginnt auch der Lehrpfad «Nature Agriculture Tourisme»; Tafeln am Weg informieren über die Eigenheiten der örtlichen Pflanzen- und Tierwelt sowie über verschiedene Aspekte des Weinbaus.
Nach wenigen hundert Metern gelangt man zu einem unüberwindbar scheinenden Hindernis: Der Pfad führt geradewegs zu einer Felswand, die senkrecht zum Bachbett abfällt. Doch beim Näherkommen entdeckt man einen kleinen Durchgang – nicht viel mehr als ein Loch, das Erwachsene nur tief gebückt passieren können. Nach wenigen Metern weitet sich der niedrige Eingang zu einem Stollen, der sich problemlos in aufrechter Haltung durchqueren lässt. Auf Knopfdruck leuchten Lampen an der Decke auf. Erst am Ende des Tunnels muss man sich nochmals bücken, um durch eine etwa anderthalb Meter hohe Metallröhre ins Freie zu gelangen. (Wer die Höhlenpartie scheut, wandert zurück zur Wanderwegverzweigung Hombe – auf manchen Schildern ist sie fälschlicherweise als «Combe» verzeichnet – und schlägt dort den Umweg über Villa und La Place nach Tsampon ein).
Nach dem Höhenrausch und dem Abstecher in den Untergrund geht es nun ganz harmlos dem Bisse de Clavau entlang, zunächst noch durch den bewaldeten, von Felsbändern durchzogenen Steilhang auf der Westseite der Liène, schon bald aber durch terrassiertes Rebbaugebiet nach Tsampon und weiter bis unterhalb des Weilers Les Granges. Hier mündet der Suonenweg in den Chemin du vignoble, der nun bei grossartiger Aussicht ins Rhonetal durch die Rebberge von Grimisuat nach Sion führt.