Wanderung Chemin - La Crevasse - Sembrancher
Hoch über dem Abgrund
Wanderzeit: 6 h
Schwierigkeitsgrad: T2 Bergwandern *
Saison: Juni - November
Für Walliser Verhältnisse weist die Crevasse eine vergleichsweise magere Höhe auf. Dennoch ist sie ein absolut lohnendes Wanderziel: Vom 1808 Meter hohen Gipfel fällt das Terrain praktisch senkrecht mehr als einen Kilometer in die Tiefe ab. Das ermöglicht spektakuläre Ausblicke. 0,7 km Hartbelag am Col des Planches, 1,8 km im Raum Vollèges, sonst ausserhalb des Siedlungsgebiets ausschliesslich Naturwege.
Detaillierte Routenbeschreibung
Zwischen den Tälern der Rhone und ihres Nebenflusses Dranse liegt der Höhenzug des Mont Chemin. Das Gestein in diesem Gebiet weist an verschiedenen Stellen Eisenvorkommen auf, die für Schweizer Verhältnisse beachtlich sind und deshalb während Jahrhunderten ausgebeutet wurden. Letztmals standen dort während des Zweiten Weltkriegs Mineure im Einsatz, zu Stundenlöhnen von höchstens 1.70 Franken. Danach wurden die Bergwerke stillgelegt.
Der Themenweg «Sentier des Mines» führt zu den einstigen Abbaustätten, Informationstafeln vermitteln Zahlen und Fakten zur Geschichte des regionalen Bergbaus. Die Stollen sind allerdings grösstenteils eingestürzt bzw. gesperrt. Immerhin einer ist jedoch auch heute zugänglich. Er liegt am Bergweg, der vom Dorf Chemin-Dessus zum Col des Planches führt. Die Route ist als Wanderweg (T1) signalisiert, der Schwierigkeitsgrad liegt jedoch klar bei T2. Es geht zunächst dem Passsträsschen entlang, dann in leichtem Auf und Ab in den Wald. Exakt dort, wo die flache Strecke in einen schmalen Zickzackweg übergeht, der sanft, aber kontinuierlich aufwärtsführt, liegt die «Galerie 6»; der Stollen führt mehr als 100 Meter horizontal ins Berginnere. Hangwärts weiter oben kommt man zudem an einem kurzen Schienenabschnitt mit einer Kipplore vorbei.
Gleich drei Pässe werden auf dieser Wanderung überquert. Sie traversieren den Mont Chemin in Nord-Süd-Richtung; die Wanderroute verbindet sie von Westen nach Osten. Beim ersten dieser Übergänge, dem Col des Planches, beginnt der Weg deutlich zu steigen. Ohne gefällebrechende Kurven führt er meist in gerader Linie bergan. Das ist anstrengend, aber gleichwohl schön, denn die Landschaft ist relativ offen: Dichter Wald weicht schon bald lockeren Lärchenbeständen, dazwischen durchstreift man blumenreiche Alpweiden.
Zusehends öffnet sich die Sicht in die umliegende Bergwelt: Im Osten ragt die schroffe Pierre Avoi in die Höhe, im Norden dominiert der Grand Chavalard das Panorama, im Westen zeigen sich die Dents du Midi. Und auch im Süden beginnt sich die Landschaft zu weiten: Zwischen den Baumwipfeln zeichnen sich allmählich die Umrisse eines kegelförmigen Berges ab, der ein wenig wie ein Vulkan aussieht: Der Catogne setzt ein machtvolles und eindrückliches Zeichen in die grossartige Gebirgslandschaft des Unterwallis.
Immer luftiger wird die Kulisse, die Bäume weichen zusehends, ein Wendepunkt von geradezu dramatischem Ausmass liegt in der Luft. Dann erreicht man die Krete – und hoppla! Ein brusthohes Geländer bewahrt unvorsichtige Wanderer davor, in die Tiefe zu stürzen. Praktisch senkrecht, zuweilen sogar überhängend fällt der Berg rund 1100 Meter ab. «Spalte», so lautet sein Name ins Deutsche übersetzt, und das ist eine geradezu lächerliche Untertreibung – zwischen der Crevasse und dem gegenüberliegenden Catogne hat sich die Erde zu einem wahren Höllenschlund geöffnet, auf dessen Grund der Talboden von Sembrancher liegt.
Beim Abstieg zum Col du Tronc wird ein Teil der gewonnenen Höhenmeter rasch wieder abgebaut. Der Weg führt erneut über Alpweiden und durch wunderschönen lichten Lärchenwald. Die Passhöhe ist ein sanft ins Gelände eingetiefter Einschnitt, auf dem in der Alpsaison die Kühe der Alpage du Tronc grasen. Ebenen Wegs gelangt man zur nahen Alphütte. In der zugehörigen Buvette sind Getränke und einfache kalte und warme Gerichte erhältlich.
Sanft ansteigend gelangt man zum dritten Pass der Wanderung. Am Col du Lein ist ein grosser Picknickplatz mit befestigter Feuerstelle eingerichtet. Von da führt der Weg am Feuchtgebiet Goilly de Lein vorüber zu einem Schalenstein, der vermutlich schon in keltischer Zeit mit handgrossen Vertiefungen ausgestattet wurde. Dienten sie zum Verreiben von Arvensamen? Fingen Druiden damit Opferblut auf? Der Zweck liegt im Dunkeln.
Zügig geht es nun abwärts. Mehrheitlich im Wald führt ein breiter, steiniger Weg nach Levron hinunter. Viel Natur bietet auch der folgende Abschnitt; er verläuft an Wiesen und Hecken vorüber, zwischendurch ebenfalls wieder durch Wald. Es empfiehlt sich, die Wanderung in Cries zu beenden (die oben angegebene Wanderzeit verkürzt sich dadurch um 1 h 10 min). Die Erschliessung mit öffentlichem Verkehr ist allerdings alles andere als feudal: Nur etwa vier Postautos pro Tage fahren vom Dorf ins Tal.
Wer nicht warten mag, setzt die Wanderung bis zur Bahnhaltestelle Etiez oder dann gleich bis nach Sembrancher fort, wo es auch Läden und Restaurants gibt. Auf der Rückfahrt nach Martigny empfiehlt sich ein Blick aus dem Fenster: Auf der Nordseite offenbaren sich nochmals die gewaltigen Dimensionen der Crevasse, jetzt allerdings aus talseitiger Perspektive.