Wanderung Lütisburg-Bruedertöbeli-Dietfurt
Die Schlucht der trägen Brüder
Wanderzeit: 3 h 20 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: April - November
Die Thur ist ein Kind der Berge. Im Unteren Toggenburg durchzieht sie hingegen eine weite, offene Landschaft. Doch auch dort gibt es wilde Ecken. Eine davon ist das Bruedertöbeli. In der Waldschlucht lebte früher eine kleine Gemeinschaft von Glaubensbrüdern. Die einstige Einsiedelei lässt sich auf einer Wanderung erreichen, die ausserhalb des Siedlungsgebiets fast durchwegs auf Naturwegen verläuft.
Detaillierte Routenbeschreibung
Je nach Sichtweise verfügt Lütisburg über einen Bahnanschluss – oder eher nicht. Die Station liegt nämlich fast zwei Kilometer vom Dorf entfernt. Als Ausgangspunkt für die vorliegende Wanderung eignet sie sich aber bestens. Der Kiesweg auf der anderen Seite der Geleise führt rasch von Strasse, Bahnlinie und Siedlungsgebiet weg ins Grüne.
Auf schönen Schotter- und Wiesenwegen geht es zur Wegverzweigung Neuwies ausserhalb des Weilers Grämigen, dann in einem kurzen Anstieg auf die Anhöhe Chapf. Nun sieht man den spitzen Turm der katholischen Kirche von Bütschwil, der sich vor dem markanten Gipfel des Speers abzeichnet. Schon bald kommt man an der Kirche vorbei. Es lohnt sich, einen Blick ins helle, ungemein voluminöse Innere zu werfen.
In einem grossen Bogen geht es durch das Dorfzentrum zum Bahnhof und von dort an die Thur hinunter. Der Fluss wird auf einer Metallkonstruktion überquert, die «Drahtsteg» genannt wird. Sie stammt aus den frühen 1960er-Jahren und kommt beim Begehen kräftig ins Schwingen. Am anderen Ufer steigt man zur Strasse hoch und durchquert auf deren gegenüberliegender Seite ein Eisengitter mit der Inschrift «Bruedertöbeli», das als Weidezaundurchgang dient.
Am Fuss des bewaldeten Abhangs, mitten in der Weide, steht die winzige Kapelle Maria Magdalena. Sie wurde Ende des 20. Jahrhunderts vom Eigentümer des Anwesens in privater Initiative auf den Grundmauern eines Vorgängerbaus errichtet. Laut einer Wandinschrift befindet sich unter dem Boden, abgetrennt durch ein Metallgitter, der alte Pilgerhauskeller. Die Stätte ist etwas bizarr. Ein Bewegungsmelder schaltet im Gebäudeinneren nicht nur den Kronleuchter ein, sondern setzt auch die Wiedergabe kirchlicher Gesänge in Gang. In einem Kühlschrank an der Aussenwand stehen Bier und Limonade bereit.
Der in Richtung Äwil und Mogelsberg signalisierte Wanderweg führt vorerst ins Tobel, zweigt dann aber nach etwa 100 m links ab in den bewaldeten Steilhang. Diese Abzweigung ignorierend, gelangt man auf einem zusehends steiler werdenden schmalen Weg tiefer in die Waldschlucht. Holzprügel im Trassee brechen das Gefälle und machen den Pfad zur Naturtreppe.
Eine ungewöhnliche geologische Formation unterbricht den Aufstieg: Hinter einem Wasserfall öffnet sich ein langgezogener Einschnitt im Gestein. Entstanden ist der Gubel, wie solche Gebilde heissen, durch eine ungleiche Erosion: Sein unterer Teil besteht aus Sandstein, der vom Wasser im Laufe der Zeit ausgewaschen wurde, während die darüber liegende Nagelfluhschicht unverändert blieb und den Hohlraum mit einem kompakten Gewölbe beschirmt.
Schon im Mittelalter soll hier eine Einsiedelei bestanden haben. Urkundlich erwähnt wird sie erstmals 1369. Damals sollen dort drei Laienbrüder und ein Priester gelebt haben. Im 15./16. Jahrhundert hingegen wurde sie nur noch von einzelnen Klausnern bewohnt. Meistens arme Leute seien das gewesen, heisst es auf einer Tafel am Weg. Im 18. Jahrhundert trafen sich dort immerhin jeweils am 22. Juli die Katholiken der Gegend zum Kirchenfesttag.
1851/52 unternahmen vier Männer den Versuch, im Bruedertöbeli erneut eine Einsiedelei zu gründen. Das Unterfangen stiess indessen auf Widerstand – es war die Zeit des Kulturkampfs, im gemischtkonfessionellen Kanton St. Gallen war man vermutlich darauf bedacht, die Gewichte nicht unnötig zu verschieben. In einem Buch über die Geschichte der Standortgemeinde Ganterschwil heisst es, dass die Einsiedelei, die ohnehin nicht immer besetzt gewesen sei, 1865 aufgelöst wurde. Angeblich hätten die letzten beiden Einsiedler «mehr Zeit mit Betteln oder Faulenzen verbracht als mit Beten».
Ein Bauer aus der Gegend baute die Höhle ab 1986 schrittweise aus und richtete darin eine kleine Waldschenke samt WC-Anlage und Warenlift ein – allerdings ohne Bewilligung. Aus Sicherheitsgründen verfügten die Behörden 1996 die Räumung der Anlage. Vom Inventar sind mehrere Sitzbänke und zwei grosse Holztische übriggeblieben. Der eine davon trägt eine leicht kuriose Gravur: Ins Tischblatt sind die Ranglisten von Jassmeisterschaften aus den 1980er-Jahren eingeschnitzt.
Auf der anderen Seite der Höhle geht es weiter den Wald hoch, zunächst erneut auf einem Treppenweg, später auf einem Schottersträsschen. Beim Bauernhof am Ende des Aufstiegs gelangt man zurück ins offizielle Wanderwegnetz. Über Wiesenland geht es südwärts zum Gehöft Ober Geissberg, von wo man einen schönen Ausblick ins Thurtal geniesst. Über Unter Geissberg steigt man ins Tal ab. Auf einem Felssporn oberhalb des Flüsschens steht die Ruine der mittelalterlichen Burg Rüdberg. Sie lag am einst einzigen fahrbaren Weg durch das Thurtal; dieser verband den Bodensee mit der Zürichseegegend. Für heutige Wanderer und Ausflügler steht zwischen den Mauerüberresten ein Picknickplatz mit Feuerstelle bereit. Nach der neuerlichen Überquerung der Thur endet die Wanderung im Dörfchen Dietfurt.