Wanderung Röthenbach - Räbloch - Schangnau
Die Natur als Brückenbauerin
Wanderzeit: 4 h 20 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: Mai - November
Das Räbloch ist eine tiefe, unwegsame Schlucht, durch die sich die Emme zwängt. Dank einer Naturbrücke kann das Engnis jedoch ohne Schwierigkeiten überquert werden. Die Wanderung von Röthenbach dorthin führt über aussichtsreiche Hügel. Auch eine kleine, aber ausnehmend schöne Moorlandschaft liegt am Weg. Die Strecke verläuft zu drei Vierteln auf Naturbelag.
Detaillierte Routenbeschreibung
Realität und Vorstellung unterscheiden sich zuweilen deutlich voneinander. Wer ans Emmental denkt, hat wohl in erster Linie saftige Wiesen, aussichtsreiche Hügel und blumengeschmückte Bauernhäuser vor dem inneren Auge. Doch neben einer sanften Seite zeigt diese Landschaft zuweilen auch ein ganz anderes Gesicht. Ein schönes Beispiel dafür ist der Lauf der Emme zwischen Schangnau und Eggiwil. Der Fluss strömt dort durch eine Schlucht, die bis zu 150 Meter tief und an der engsten Stelle nur gerade anderthalb Meter breit ist.
Entstanden ist der spektakuläre Einschnitt während der letzten Eiszeit. Unter den Eismassen des Emmegletschers schoss Schmelzwasser mit hohem Druck über den Grund und fräste eine tiefe Rinne in die Nagelfluh. Die teilweise senkrecht abfallenden Seitenwände des Grabens waren allerdings nicht so solide wie gewachsener Fels. Im Verlauf der Eiszeit ereignete sich in der Emmeschlucht jedenfalls ein grosser Rutsch: Von einer der Seitenwände glitt ein kompaktes Felspaket ab und verkeilte sich in der Tiefe. Darunter blieb immerhin genug Platz für die durchfliessende Emme.
Auf diese Weise entstand mitten in der Schlucht eine natürliche Brücke. Dank ihr lässt sich der Fluss stets trockenen Fusses überqueren, egal wie hoch der Wasserstand ist. Der Übergang ist ziemlich schmal, zudem fällt das Terrain auf beiden Seiten schroff ab. Ende des 19. Jahrhunderts notierte deshalb der Reiseschriftsteller Emil August Türler: «Wem es nicht bangt hinüberzuschreiten und das Auge in den Abgrund tauchen zu lassen, gehört schon zu den beherzteren Menschen und braucht keine Fegefeuer mehr zu fürchten.»
Längst ist die Naturbrücke beidseits mit Holzzäunen ausgestattet, die das Beschreiten zu einem harmlosen Abenteuer machen. Auch der Abstieg in die Schlucht und der nachfolgende Aufstieg ist mit Geländern gesichert. Geblieben ist der grossartige Tiefblick beim Räbloch. Über die senkrecht abfallenden Felswände tröpfelt und rieselt vielerorts Wasser, auf der Nordseite bildet ein kleiner Seitenbach gar einen hübschen Wasserfall. Weit unten, auf dem schattigen Grund der Schlucht, zieht die Emme träge dahin.
Der einmalige Schauplatz ist dank seines wilden Charakters der unbestrittene Höhepunkt einer Wanderung, die im Übrigen hauptsächlich durch Gebiete führt, denen man den typischen lieblichen Emmentaler Landschaftscharakter fraglos zugesteht. Von der Bushaltestelle im Dorfzentrum von Röthenbach folgt man zuerst einige Schritte der Hauptstrasse in Richtung Kirche, gelangt dann dem Jassbach entlang zum Rötebach und auf dessen gegenüberliegender Seite in den Wald, wo der Weg zu steigen beginnt. Beim Gehöft Nägelisbode geht es vorübergehend flach und auf Asphalt weiter, danach teilweise weglos über Weideland hinauf nach Naters.
Sobald man die Hangkante erreicht, entfaltet sich ein üppiges Panorama. Über dem hügeligen Hinterland der Thunerseeregion ragen die hochalpinen Gipfel des Kandertals auf, daneben zeigen sich der Niesen und die Stockhornkette. Die aussichtsreiche Lage wurde früher zur Vermessung genutzt. Zu diesem Zweck errichtete man auf der Hügelkuppe bei Vorder Naters eine Metallpyramide als Triangulationspunkt. Heute ist sie ungenutzt und markiert den höchsten Punkt der Tour.
Der nun folgende Abschnitt bietet besten Wandergenuss. Ohne grosse Höhendifferenzen gelangt man bei prächtiger Aussicht über das Oberemmental zum Schallenbergpass. Auf der anderen Seite der Passstrasse geht es weiterhin ebenen Wegs über Weideland zum Waldrand. Nach einem kurzen, aber steilen Abstieg auf einem Waldpfad marschiert man über Wiesenland weiter zum Naturschutzgebiet Steinmösli. Das kleine Hochmoor wurde einst für den Torfabbau genutzt. Heute gedeiht dort eine reichhaltige Flora und Fauna, darunter eine überdurchschnittliche Vielfalt an Libellenarten. Die Moorfläche darf nicht betreten werden; ein Holzsteg führt jedoch zu einer kleinen Aussichtsplattform, die einen guten Überblick auf das Naturkleinod bietet.
Der Abstieg in die Emmeschlucht beginnt auf einem breiten Kiesweg, der sich rasch zu einem schmalen und steilen Pfad verengt. Nicht minder stotzig geht es auf der anderen Seite der Naturbrücke hinauf zum Schafschwand. Mit dem Hohgant vor Augen gelangt man über Weideland nach Vorder Scheidbach und via Untere Rüti nach Schangnau. Die letzten anderthalb Kilometer muss man fast durchwegs auf Asphalt zurücklegen.
Es ist übrigens ein Glücksfall, dass die Emmeschlucht nach wie vor intakt ist. Im frühen 20. Jahrhundert hätte man den Engpass nämlich für den Bau einer Staumauer nutzen wollen, um das Wasser der Emme für die Stromproduktion zu nutzen. Das Vorhaben wurde allerdings abgeblasen, weil zu dieser Zeit an der Grimsel Wasserkraftwerke gebaut wurden, von denen bekannt war, dass sie sich wesentlich wirtschaftlicher betreiben liessen. Der Stausee wäre gleichsam die Wiedergeburt eines prähistorischen Schangnauer Sees gewesen. Noch während der Eiszeit hatte Gletscherschutt die Emmeschlucht verstopft, so dass sich dahinter die Emme aufstaute. Mit der Zeit wurde der Riegel abgetragen, so dass der See wieder verschwand.