Wanderung Döttingen-Endingen-Freienwil
Studenland war Judenland
Wanderzeit: 3 h 50 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: Ganzjährig begehbar
Nirgends in der Schweiz begegnet man einer solchen Dichte an jüdischer Baukultur wie im aargauischen Surbtal. Der «Jüdische Kulturweg» erschliesst dieses einzigartige Kulturgut. Mehrere seiner Stationen lassen sich im Rahmen einer leichten Wanderung erkunden. Wenig Hartbelag ausserhalb des Siedlungsgebiets. Die Route verläuft streckenweise ausserhalb des signalisierten Wanderwegnetzes.
Detaillierte Routenbeschreibung
Es war Kolonialismus nach helvetischer Art: Die Eidgenossen saugten ihr Untertanengebiet im heutigen Aargau nach Strich und Faden aus. In der nordöstlichen Ecke des Gebiets liessen sie dermassen viele Bäume roden, dass der Wald dort bald nur noch aus kniehohen Stauden bestand. Studenland wird die Gegend seither genannt. Danach erklärten sie die unwirtliche Ecke als Siedlungsgebiet für die Juden im Land. Die Kinder Israels wollte niemand, aber irgendwo musste man sie ja leben lassen, denn als Händler und Kreditgeber waren sie unentbehrlich.
Auf diese Weise wurde das Surbtal eine Art schweizerisches Ghetto. Während langer Zeit durften Juden, die in der Eidgenossenschaft leben wollten, nur in den beiden Dörfern Endingen und Lengnau Wohnsitz nehmen. Grundbesitz war ihnen verboten, ebenso hatten sie sich so gut wie möglich von der christlichen Bevölkerung fernzuhalten.
Die Vorgaben wurden kreativ umgesetzt: Juden stellten Christen Geld für den Bau von Wohnhäusern zur Verfügung und zogen danach als Mieter ein. Die betreffenden Häuser wurden jeweils mit zwei Eingängen ausgestattet: Einer war für Christen, der andere für Juden. Man kann diese Doppeltüren als architektonischen Ausdruck von religiös begründetem Rassismus ansehen – oder als kreativen Ausdruck friedlicher Koexistenz.
Unter den vielen Nebengewässern der Aare fristet die Surb ein Schattendasein. Der rund 20 km lange Fluss entwässert Gebiete nördlich der Lägern in den Kantonen Zürich und Aargau. Nur ein kleiner Teil des Wasserlaufs ist mit Wanderwegen erschlossen. Gleichwohl kann man ihm zu Fuss problemlos auf längeren Strecken folgen. Ausgangspunkt der Wanderung ist Döttingen. Vom Bahnhof liegt das Aareufer nur einen Steinwurf entfernt. Auf der Ostseite des Flusses verläuft der Uferweg flussaufwärts zunächst auf einem aufgeschütteten Damm, später hinter einer Schutzmauer aus Beton. An deren Ende zweigt man scharf links ab und gelangt durch die Badstrasse zurück auf die Hauptstrasse. Nach der Unterquerung der Bahnlinie erreicht man die Surb, überquert das Flussbett, marschiert ein paar Dutzend Schritte auf dem Grossmattenring und zweigt dann links zum Fluss ab. Damit ist der etwas komplizierte Einstieg geschafft.
Ein schöner Wiesenweg führt direkt dem Wasser entlang flussaufwärts. Im Wald verengt er sich zu einem schmalen Pfad, der nach einer Weile in eine Waldstrasse mündet, die in sanftem Aufstieg durch das Riedholz führt. Auf der Lichtung Unter Ried geht es in zwei scharf rechtwinkligen Kurven wieder an die Surb hinunter, die man auf einem Betonbrücklein überquert. Danach gelangt man auf einem Kiesweg zum Gehöft Brüel und weiter nach Tegerfelden, wo die vom Zurzacherberg herunterführende Wanderroute erreicht wird. Etwas oberhalb des Dorfs kehrt man wieder an die Surb zurück. Im Flussbett steht eine in ausgezeichneter handwerklicher Qualität gefertigte, drei Meter hohe Bogenstaumauer, mit der von der Mitte des 19. Jahrhunderts an ein Teil des Wassers durch einen Kanal abgeleitet und in Tegerfelden für den Betrieb mehrerer Mühlen verwendet wurde.
Über Unterendingen geht es nach Endingen. Im Dorfzentrum stehen an der Rankstrasse mehrere historische doppeltürige Häuser. Hier begegnet man der ersten Tafel des «Jüdischen Kulturwegs» (die Angaben sind auch auf einem Flyer verfügbar, der von der Website www.juedischerkulturweg.ch heruntergeladen werden kann). Die nahe Synagoge liegt etwas versteckt. Sie ist mit einer prachtvollen klassizistischen Fassade ausgestattet, deren Fenster mit maurisch inspirierten Rundbogen geschmückt sind. Auf der gegenüberliegenden Seite der Surb steht ein schmuckes Haus, in dem früher die Mikwe (rituelles Tauchbad) vollzogen wurde. Daran vorbei führt ein als Veloroute signalisiertes Strässchen, auf dem man dorfauswärts zum «Judenfriedhof» gelangt, dem ältesten israelitischen Friedhof der Schweiz. Das Areal liegt hinter verschlossenen Toren, doch über die Mauern hinweg sieht man schöne alte Bäume, zwischen denen Grabsteine stehen, von denen manch einer uralt ist.
Am östlichen Ende des Friedhofs geht es wieder auf einen Wanderweg. Dieser führt dem Talebach entlang durch idyllisches Wiesland sanft aufwärts. Unterhalb des Weilers Vogelsang zweigt man von der Wanderroute rechts ab und gelangt zunächst auf einem Kiesweg, danach auf einem Asphaltsträsschen in kurzem, aber recht steilem Aufstieg auf die Anhöhe Schache. Ein prachtvolles Panorama breitet sich vor einem aus: Hinter dem Dorf Lengnau ziehen sich Hügel mit Wiesen und Wäldern bis zur Lägern, dem östlichsten Jura-Ausläufer.
Auch in Lengnau gibt es eine Synagoge, und diese kann man im Unterschied zu jener in Endingen nicht verfehlen. Das Bauwerk mit eindrücklicher Schaufassade steht an prominenter Lage mitten im Dorf. Gleich gegenüber, auf der anderen Seite der Surb, ist die katholische Dorfkirche zu sehen. Am Fuss des Kirchhügels vorüber gelangt man an den Rand des Dorfs und danach auf schönen Feld- und Wiesenwegen nach Freienwil.