Wanderung Selva-Cancian (Valposchiavo)
Grenzwanderung in einsamer Wildnis
Wanderzeit: 6 h
Schwierigkeitsgrad: T3 Anspruchsvolles Bergwandern *
Saison: Juni - Oktober
Der Kamm zwischen dem Puschlav und dem italienischen Valle Poschiavina bietet grossartige Ausblicke in die beiden Täler. Eine zwar lange, aber dank mässiger Steigungen nicht übermässig anstrengende Bergwanderung führt ab Selva in die gebirgige Wildnis des Grenzgebiets. Die Wanderung verläuft durchwegs auf Naturbelag.
Detaillierte Routenbeschreibung
Von Alpweiden mit saftig grünem Gras über karg bewachsene Geröllfelder bis hinauf in felsige Wildnis mit spärlichen Flechten auf Steinplatten durchstreift man auf dieser Tour eine eindrückliche Vielfalt von Vegetationsstufen. Ausgangspunkt der Rundwanderung ist eigentlich die Alp Quadrada. Diese ist allerdings nur mit einem Schottersträsschen erschlossen, das einzig mit dem Privatauto befahren werden kann. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Alp nicht erreichbar. Bevor man zu der erwähnten Runde ansetzt, muss man daher zunächst den rund einstündigen Anmarsch von der Rufbus-Haltestelle beim Weiler Selva via Vamporti hinauf nach Quadrada bewältigen – und diese Strecke am Ende in umgekehrter Richtung nochmals zurücklegen. Das verlängert die Wanderung deutlich, macht sie aber nicht unattraktiver. Der Einstiegs- bzw. Ausgangsabschnitt dieser Tour verläuft nämlich im unteren Teil über aussichtsreiches offenes Gelände, weiter oben durch angenehm schattigen Bergwald. (Wer nicht motorisiert ist und dennoch nicht die gesamte sechsstündige Wanderung auf sich nehmen mag, kann sich mit dem Taxi nach Quadrada chauffieren lassen – was allerdings eine ziemlich kostspielige Angelegenheit ist.)
Von Quadrada geht es bei etwas verminderter Steigung zunächst im Wald, dann über Alpweiden weiter aufwärts zur Alp Cancian. In der Höhe zeigt sich nun eine grossartige felsige Wildnis von abschüssigen Halden, senkrechten Flühen und mächtigen einzelnen Felsblöcken. Die prägnanteste Erscheinung in diesem einmaligen geometrischen Kabinett ist der Turiglion da Cancian, eine mehr als 20 Meter hohe, auf mehreren Seiten senkrecht abfallende Steinsäule, deren Spitze von einem Gipfelkreuz gekrönt ist.
Trotz des urwüchsigen Geländes kommt man problemlos voran. Der Weg ist nirgends ausgesetzt oder extrem steil, sondern zieht sich kurvenreich und gleichmässig ansteigend in die Höhe. Auf dem Pass da Cancian erreicht die Tour einen markanten Wendepunkt. Der Übergang an der Landesgrenze bietet eine fabelhafte Sicht sowohl in den unteren Teil des Puschlavs und ins angrenzende Veltlin als auch ins Valle Poschiavina, dem italienischen Nachbartal des Puschlavs. Im Seelein unweit der Passhöhe spiegelt sich der Piz Palü, während der benachbarte Piz Bernina – der einzige Viertausender der Ostalpen – knapp vom vorgelagerten Piz Argient verdeckt wird.
Vor einem liegt nun eine gut halbstündige Höhenwanderung über den Kamm zwischen den beiden Tälern. Der Weg verläuft mehrheitlich auf der italienischen Seite der Grenze, entsprechend fällt der Blick immer wieder ins Valle Poschiavina. Auch ein Blick zurück zur vergletscherten Nordflanke von Piz Cancian und Pizzo Scalino lohnt sich.
Schliesslich gelangt man zum zweiten Passübergang, der die beiden Nachbartäler verbindet. Auch am Pass d’Ur, dem höchsten Punkt der Tour, liegt ein kleiner Bergsee. Einsam ist es hier, und wie! Ringsum ist kein einziges Gebäude zu sehen. Wären nicht der metallfarbene Wegweiser des italienischen Alpenclubs und der gelbe Wegweiser der Bündner Wanderwege, dann fehlte hier jegliche Spur menschlicher Zivilisation.
Der Abstieg zur Alp d’Ur ist erneut eine Reise durch unterschiedliche Abstufungen der Vegetation, nun einfach in umgekehrter Reihenfolge: Von der felsigen Wildnis der Passhöhe kehrt man allmählich zurück in den dichten Bewuchs aussichtsreicher Alpweiden und in die schattige Kühle von würzig duftenden Bergwäldern. Am Weg liegt mit dem Laghet d’Ur ein drittes Seelein. Wer ein erfrischendes Bad braucht, sollte spätestens jetzt das Tenue wechseln.
Nur noch mit geringem Gefälle geht es von der Alp d’Ur nach Quadrada. Von dort kehrt man auf gleichem Weg wie beim Aufstieg zurück nach Selva.