Wanderung Miralago-Brusio-Tirano
Talauswärts nach Italien
Wanderzeit: 3 h 30 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: Mai - November
Im untersten Teil des Puschlavs vollzieht sich auf kurzer Distanz ein erstaunlicher Wandel der Landschaft. Die Talwanderung von Miralago nach Tirano beginnt in Tannenwäldern und endet in Rebbergen und Kastanienhainen. Rund ein Drittel der Strecke ist asphaltiert. Längere Hartbelagsabschnitte gibt es insbesondere zwischen Brusio und Campascio sowie in Tirano.
Detaillierte Routenbeschreibung
Die Wanderung vom Lago di Poschiavo über die Landesgrenze hinweg nach Tirano verbindet Naturerlebnisse mit interessanten kulturgeschichtlichen Schauplätzen. Aufgrund dieser Vielfalt eignet sie sich gut auch für Kinder. Der Talboden des Valposchiavo wird einerseits landwirtschaftlich genutzt (namentlich für ausgedehnte Beerenkulturen), beherbergt aber auch verschiedene Gewerbe- und Industriebetriebe, an denen die Tour vorbeiführt.
Ausgangspunkt ist die Bahnstation des Dörfchens Miralago, die direkt am unteren Ende des Sees liegt. Zum Auftakt der Tour gibt es einen sanften Aufstieg durch den Bergwald und an einer Kiesgrube vorbei zum Weiler Garbella, wo sich ein schöner Ausblick auf Brusio im Talgrund und ins nahe Veltlin öffnet. Dorthin richtet sich nun der Schritt. Über Wiesen und Weiden, durch Wälder und heckengesäumte Hohlweg steigt man via Ginef nach Brusio ab.
Das Dorf weist zwei architektonische Besonderheiten auf. Obwohl dort nur einige hundert Menschen leben, verfügt es über zwei in unmittelbarer Nähe nebeneinander stehende Kirchen. Die etwas ältere katholische Kirche konnte nach der Reformation eine Weile lang auch von den Protestanten für ihre Gottesdienste genutzt werden. Im Zuge der Gegenreformation und den gewalttätigen Auseinandersetzungen der «Bündner Wirren» wurde diese Praxis aufgehoben, worauf die reformierte Minderheit ein eigenes Gotteshaus errichtete.
Noch markanter tritt der Kreisviadukt der Rhätischen Bahn in Erscheinung. Die eindrückliche Konstruktion ermöglicht es den Zügen, die Geländestufe unterhalb des Dorfs auf engem Raum und ohne Zahnradantrieb zu überwinden. Als Wahrzeichen der Berninastrecke zieht das elegante Bauwerk nicht nur Eisenbahnenthusiasten, sondern Touristen aus aller Welt in seinen Bann.
Der Wanderweg verläuft unmittelbar dem Kreisviadukt entlang und führt dabei auch an einer Ansammlung von kleinen Natursteinkuppeln vorbei. Unter jeder davon verbirgt sich eine kleine Kammer, die über eine niedrige Tür zugänglich ist. Diese Crotti, wie sie in der Region genannt werden, dienten früher dazu, im Sommer Milchprodukte und andere verderbliche Waren kühl zu lagern. Einzelne dieser archaischen «Kühlschränke» stehen zur freien Besichtigung offen. Ein Augenschein lohnt sich besonders an heissen Sommertagen: Während die Sonne den Talboden durchglüht, herrschen unter dem Gewölbe wesentlich tiefere Temperaturen.
Beim Kreisviadukt gibt es auch einen kleinen Garten Eden, in dem Apfel-, Birnen-, Pfirsich- und weitere Obstbäume gedeihen. Deren Früchte stehen unter dem Motto «frutti per tutti» der Allgemeinheit zur Verfügung. Die Anlage zeigt augenfällig, welchen Wandel die Vegetation ab dem Ausgangspunkt der Wanderung durchlaufen hat. Während im ersten Teil der Tour Föhren- und Tannenwälder vorherrschten, sieht man nun immer mehr Kastanienbäume. Neben Wohnhäusern und Scheunen stehen Feigenbäume, auf freiem Feld dehnen sich grosse Obstgärten aus, in denen Beeren angebaut werden.
Die Passage ins nächste Dorf Campascio ist etwas unattraktiv, verläuft sie doch durchwegs auf Hartbelag und wird von einigen abweisenden Industriebauten gesäumt. Umso reizvoller ist der nachfolgende Abschnitt. Er führt zum Auftakt an einem Weinberg vorbei. Das wäre an sich nicht weiter bemerkenswert, zählt das Puschlav doch zu den bekannten Weinproduktionsgebieten der Schweiz. Der (relativ kleine) Rebberg von Campascio ist allerdings der einzige, den es im ganzen Tal gibt. Der grössere Teil der Trauben wird im norditalienischen Veltlin angebaut und in der Schweiz gekeltert. Das Produkt dieses buchstäblich grenzenlosen Weinbaus gilt dann ebenfalls als «Vino nostrano» (hiesiger Wein). Die ungewöhnliche Praxis hat historische Gründe, denn die beiden benachbarten Täler standen einst gemeinsam unter der Herrschaft Graubündens.
Vorbei an Weideland und durch Kastanienwälder gelangt man nach Campocologno, wo man zwischen Verladebahnhof, Hauptstrasse und Eisenbahnlinie eine etwas unansehnliche Passage zu gewärtigen hat. Umso reizvoller ist der letzte Abschnitt der Wanderung. Nach dem Aufstieg zur Dorfkirche geht es mehr oder weniger ebenen Wegs auf einem alten Saumpfad zur Landesgrenze. Schon bald erreicht man das romanische Kirchlein Santa Perpetua. Es schmiegt sich in einen von Reben bewachsenen Hang, der eine sehr schöne Aussicht auf Tirano bietet. Von Santa Perpetua aus hat man zudem eine direkte Sichtverbindung nach San Romerio weit oberhalb von Brusio. Beide Gotteshäuser sind kirchenrechtlich der Wallfahrtskirche Madonna di Tirano angegliedert, die im geometrischen Zentrum der Stadt steht. San Romerio diente den Veltliner Geistlichen jahrhundertelang als Sommerfrische. Das heute auf Schweizer Boden liegende Kirchlein ist nach wie vor im Grundbesitz der Stadt Tirano.
Zwischen Rebstockreihen steigt man zum Flüsschen Poschiavino ab, gelangt auf der anderen Seite zur Wallfahrtskirche und erreicht einem dicht befahrenen Boulevard entlang die Bahnhöfe der Rhätischen Bahn und der italienischen Staatsbahn. Ehe man zur Rückfahrt ansetzt, empfiehlt sich ein Rundgang durch den historischen Stadtkern von Tirano, der von zahlreichen alten, ehrwürdigen Palazzi aus der Zeit der Bündner Herrschaft geprägt ist.