Wanderung Cama - Lagh de Cama
Verborgener alpiner Garten Eden im Val Cama
Wanderzeit: 5 h 10 min
Schwierigkeitsgrad: T2 Bergwandern *
Saison: Juni - Oktober
Der Weg ist lang, schnörkellos und klar, das Ziel schlichtweg grossartig: Ausdauernden Berggängerinnen und Berggängern bietet die Wanderung ins Val Cama eine Fülle von beglückenden Erlebnissen in grandioser Naturlandschaft. Ausserhalb des Siedlungsgebiets verläuft die Wanderung durchwegs auf Naturwegen.
Detaillierte Routenbeschreibung
Der Vorstellung eines Paradieses begegnet man in allen menschlichen Kulturen. Höchst unterschiedlich sind jedoch die damit verbundenen Bilder: Ist das Paradies nun eine Oase in der Wüste? Oder vielleicht eher ein Garten mitten in der Wildnis? Oder gar einfach eine schöne Lichtung im Wald? Als Sinnbild passt sich die Vorstellung von Eden flexibel an die Erfahrung der Landschaft an, die in der jeweiligen Gegend vorherrscht. Im alpinen Raum sind es wohl weniger Palmen und Meeresstrände, die mit der Idee des Paradieses verknüpft sind, sondern andere Landschaftselemente wie ein lieblicher Wiesengrund oder ein kleiner See.
Wer sich nach solchen Kriterien in den Schweizer Bergen aufmacht, um das Paradies zu suchen, könnte im Val Cama fündig werden. Das Seitental des Misox ist eine enge, tief ins Gebirge eingeschnittene Kerbe. Der Einstieg ins Tal befindet sich beim Parkplatz, den man ab Cama nach der Überquerung der Moesa und der Autobahn erreicht. Wer dort ankommt, hat eine grüne Wand vor sich: Nahezu senkrecht scheint sich der bewaldete Hang aufzutürmen.
Die Marschrichtung ist simpel: Es geht einen halben Höhenkilometer aufwärts, auf unendlich vielen Stufen und Tritten, die in den Hang geschlagen wurden. Nach zahlreichen Kurven erreicht man den Aussichtspunkt Bèdola, wo sich ein schöner Tiefblick hinunter zum Dorf Cama öffnet. Der Flurname geht auf die hier vorkommende Birke (betulla) zurück, wie man einer kleinen roten Tafel am Wegrand entnehmen kann.
Die gesamte Wegstrecke das Tal hinauf ist mit insgesamt rund zwei Dutzend solchen Tafeln ausgestattet. Ihnen kann man etwa auch entnehmen, was es mit dem Toponym Crusìtt auf sich hat (früher erinnerten dort Holzkreuze an die Opfer von Steinschlag-Ereignissen und machten damit den durchziehenden Älplern bewusst, in welch gefahrvoller Umgebung sie sich bewegten).
Der kurvenreiche Bergweg führt allmählich aus dem Haupttal ins Seitental, der Motorenlärm von der Autobahn im Talboden wird schwächer und wird schliesslich von fernem Wasserrauschen überlagert: Der Rià de Val Cama meldet sich zu Wort, allerdings nur zaghaft, denn der Bergbach wird weiter oben in einen Kraftwerksstollen geleitet. Das Rauschen ist einzig dem Restwasser zu verdanken, für das die Seitenbäche sorgen, die unterhalb der Wasserfassung zufliessen.
Bei Provesc endet das Stufensteigen. Tisch und Bank aus Stein laden zur Rast, ein Brunnen löscht den Durst. Weiterhin ansteigend, aber nun deutlich weniger steil, durchquert man den höchstgelegenen Kastanienwald des Misox. Danach übernehmen Tannen die Vorherrschaft im Wald. Das Terrain wird immer felsiger. Blockschutt ist eine milde Untertreibung für das Bild, das die Landschaft bietet: Gewaltige Brocken von fünf Metern oder noch mehr Höhe türmen sich aufeinander. Besonders wild wird es beim Sass de la végia: Zwei aneinandergeworfene Felsblocke bilden einen tunnelähnlichen Durchgang, der angeblich an die Umrisse einer bösen Hexe erinnert.
Schliesslich lockert sich der Wald zusehends auf. Mehrere grasüberwachsene Lichtungen sind Reste von früher genutzten kleinen Alpen. Dann, nach einem letzten Anstieg, tritt ein Moment ein, wie man ihn im Theater kennt, wenn der Vorhang fällt und der Blick auf die Bühne frei wird: Eine spektakuläre Arena öffnet sich. Im Vordergrund schmeichelt der glitzernde Lagh de Cama dem Auge. Die Weiden der nahen Alp del Lago ziehen sich bis ans Ufer. Dahinter geht das Hochtal in zusehends steiles und felsiges Gelände über, das in einer rund 2400 Meter hohen Gipfelkette endet. Jenseits dieses kolossalen Talabschlusses liegt Italien.
Der See lässt sich nicht vollständig umrunden, aber ein Abstecher an sein südliches Ende, wo lichte Wäldchen mit Lärchen und Birken stehen, lohnt sich. Doch wie auch immer: Irgendwann muss man diesen paradiesisch schönen Flecken Erde wieder verlassen und ins Tal zurückkehren. Der Rückweg nach Cama erfolgt auf gleicher Route wie der Aufstieg.