Wanderung Mesocco-Lostallo-Grono
Löcher im Misox
Wanderzeit: 5 h 10 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: Ganzjährig begehbar
Lieblich in der Tiefe, schroff in der Höhe: Das Misox zeigt ein kontrastreiches Gesicht. Auf der Talwanderung entlang der Moesa gewinnt man einen lebendigen Eindruck vom landschaftlichen Charakter des grössten Bündner Südtals. Die Tour führt durch mehrere Tunnels und an kühlen Felskellern vorüber. Im zweiten Teil verlaufen einige Abschnitte auch ausserhalb des Siedlungsgebiets auf Asphalt.
Detaillierte Routenbeschreibung
«Wie Tessin, aber in Graubünden»: Die Kurzbeschreibung des westlichsten Südtals von Graubünden ist ungenau und doch treffend: Im Misox spricht man italienisch, es gibt Kastanienwälder und urchige Grotti. Die Flanken des Haupttals sind bis weit hinauf bewaldet, die Gegend weist vielerorts eine wunderbare Weite auf, und an den tiefsten Stellen liegt die Talsohle auf nicht einmal 300 Metern Höhe.
Neben den landschaftlichen Gemeinsamkeiten gibt es einen gewichtigen Unterschied. Während sich etwa im Maggiatal die Hänge an vielen Stellen nur bis etwa 1500 Meter hochziehen und sich das Terrain erst dahinter in einer zweiten Stufe erhebt, türmen sich die Berge im Misox sofort und direkt um mindestens zwei Höhenkilometer auf. Die bewaldeten Felshänge werden dadurch zu imposanten grünen Wänden.
Das Tal wurde anfangs des 20. Jahrhunderts mit einer 31 Kilometer langen Schmalspurbahn erschlossen, die von Bellinzona zum Hauptort Mesocco führte. Weil die Bahnlinie den Planern der Autobahn A13 in die Quere kam, wurde der Personenverkehr 1972 eingestellt und das Trassee etappenweise aufgehoben. 2003 gab man schliesslich auch den letzten verbliebenen Rest an Güterverkehr auf.
Ein ansehnlicher Teil der ehemaligen Bahnstrecke dient heute als Wanderweg. Wer diesen beschreitet, profitiert von geringem Gefälle und einer geradezu luxuriösen Trasseebreite. Brücken und Viadukten sind zudem noch heute mit altertümlichen Eisengeländern ausgestattet. An drei Stellen werden felsige Steilhänge mit kurzen Tunnelabschnitte unterquert.
Heute wird das Tal mit einer Postautolinie erschlossen. Das hat den Vorteil, dass man die Wanderung auf dem Talweg problemlos jederzeit unterbrechen oder vorzeitig beenden kann. In manchen Dörfern erinnern noch immer Stationsgebäude an die einstige Bahnlinie. Eines davon steht am Ausgangspunkt der Wanderung: Bei der Postautohaltestelle mit dem sinnig-sinnlosen Namen Mesocco Stazione endete früher die Misoxerbahn.
Mit wenigen Schritten erreicht man den südlichen Dorfrand. Eine steile, als Kreuzweg ausgestaltete Steintreppe erschliesst die Kirche San Péider. Das Trassee der stillgelegten Bahnlinie führt unter dem Aufgang hindurch über Weideland in den Wald und senkt sich dann sanft talwärts.
Nach einer Weile öffnet sich zwischen den Bäumen die Sicht zu den Ruinen des Castello di Mesocco, einer der grössten Burganlagen der Schweiz. Errichtet wurde sie auf einem Felskopf, den eine massive Ringmauer umgibt. Die Festung bietet einen Überblick über das ganze Tal und galt seinerzeit als nahezu uneinnehmbar. Aus Furcht, sie könnte durch Verrat oder Verkauf in feindliche Hände geraten, wurde sie im 16. Jahrhundert von Graubünden geschleift. Die verbliebenen Mauern zeugen von der einstigen Grösse und Wirkung der Anlage. Ein zehnminütiger Abstecher führt vom Talweg zum Schlosshügel hinüber.
Das erste Teilstück der Wanderung ist kurioserweise als Bergwanderweg signalisiert, entspricht aber mit Schwierigkeitsgrad T1 einem normalen Wanderweg. Immerhin ist das Gefälle hier etwas grösser als im zweiten Teil der Tour. Der Abschnitt durchquert die drei ehemaligen Bahntunnel. Beim mittleren davon kreuzt man einen sehr schönen gepflästerten Weg, der aufwärts zur Dorfkirche von Soazza und abwärts zu einem höhlenartigen Durchgang führt. Das Kleinod früherer Wegebaukunst ist eines der wenigen verbliebenen Relikte des einstigen Saumwegs, der von Bellinzona über den San-Bernardino-Pass Richtung Chur führte.
Unterhalb von Soazza verwandelt sich die Moesa von einem ungestümen Bergbach in einen Fluss, der sich im weiten Talboden ruhig dahinzieht. Der Wanderweg folgt nun dem Wasserlauf durch Wälder, über Wiesen und Weiden. Das Misox zeigt hier dank einer intakten Auenlandschaft und mit hohen Felswänden auf beiden Talseiten ein ausgesprochen wildes Gesicht.
Über Cabbiolo, Lostallo und Sorte geht es nach Norantola. Danach folgt der einzige nennenswerte Aufstieg der Tour. Er beginnt auf dem Strässchen Richtung Verdabbio, geht dann in einen alten, mit Natursteinen befestigten Weg über, von dem schliesslich ein schmaler Pfad abzweigt, der sich in einen schönen Kastanienwald senkt und zu einer Ansammlung von Grotti oberhalb von Cama führt. Dank einem konstant kühlen Luftzug (als «Atem des Bergs» bezeichnet) herrschen in den kleinen Steinhäusern auch im Sommer kühle Temperaturen. Deshalb wurden sie früher zum Aufbewahren von Lebensmitteln genutzt. Die Dichte an gut erhaltenen Naturkellern hat Cama zum Ruf als «Villagio dei Grotti» verholfen.
Der letzte Abschnitt der Talwanderung verläuft mehrheitlich auf Asphaltsträsschen. Bei Leggia wechselt man auf die östliche Seite des Talbodens und gelangt am Rande der Auenlandschaft der Golena Pascolet nach Grono. Vor der neuerlichen Überquerung der Moesa empfiehlt sich der zehnminütige Abstecher zur «Cascata» (am Bergweg ins Val Grono): Der Bergbach Rià de Val Gron stürzt hier als malerischer Wasserfall in einen grottenartigen Felskessel.