Wanderung Alp Grüm - Lagh da Caralin
Am Übergang vom Tod ins Leben
Wanderzeit: 3 h 40 min
Schwierigkeitsgrad: T3 Anspruchsvolles Bergwandern *
Saison: Juni - Oktober
Der Lagh da Caralin ist ein sehr junger Bergsee. Die Mulde, in der er liegt, war bis weit ins 20. Jahrhunderts noch vom Palügletscher bedeckt. Auf der Wanderung dorthin stösst man in eine Zone zwischen prallem Leben und eisiger Starre vor. Von einer Begehung während oder nach intensiven Regenfällen ist abzusehen. Durchwegs Naturbelag. Wegen Steinschlaggefahr wird die Route bis auf weiteres teilweise umgeleitet.
Detaillierte Routenbeschreibung
Ein rund zehnminütiger Aufstieg führt von der Bahnstation Alp Grüm zum Restaurant Belvedere hoch. Von der Terrasse hat man eine grossartige Aussicht auf das ganze Puschlav; wenn man sich Richtung Westen wendet, öffnet sich die nicht minder eindrückliche Sicht hinüber zum Piz Palü, der über einem mächtigen Felskessel thront. Der Fuss dieser grossartigen Arena ist das Ziel der Wanderung.
In der Südflanke des Piz Palü erstreckt sich das weite Eisfeld des Palü-Gletschers. Man braucht weder Glaziologe noch alteingesessener Ortskundiger zu sein, um zu erkennen, dass dieser Gletscher, wie so viele andere im Alpenraum, schon wesentlich bessere Zeiten erlebt hat. Schmächtig, ja fast zerbrechlich wirkt die verbliebene Eisdecke – die einstige Fülle und Pracht ist heute nur noch knapp zu erahnen.
Der Rückgang des Gletschers hat dazu geführt, dass sich das abfliessende Schmelzwasser in einer grossen Mulde am Fuss einer riesigen Felswand zu einem Bergsee gesammelt hat. Der Lagh da Caralin ist ein Kind des 21. Jahrhunderts. Auf Landeskarten aus der Zeit vor der Jahrtausendwende gibt es ihn noch nicht.
Zwei Wege führen vom Belvedere nach Poz dal Dragu (Pozzo del Drago); die kürzere Route auf der Westseite des Pru dal Vent ist ein beliebter und vielbegangener Panoramaweg. Stiller, aber nicht minder aussichtsreich ist es auf der Ostseite. Bei Mot kommen beide Wege wieder zusammen.
In der Flanke des Sassal Masone, aber noch deutlich unterhalb des gleichnamigen Restaurants geht es nun auf karg bewachsenem, steinigem Boden langsam aufwärts. Hinweistafeln am Wegrand warnen vor Steinschlaggefahr. Tatsächlich entdeckt man an verschiedenen Stellen immer wieder frische Steinbrocken. Zur Zeit der Schneeschmelze oder während eines heftigen Gewitters ist mit solchem Terrain keineswegs zu spassen.
Bei trockener Witterung unterliegt die Begehung des Wegstücks den üblichen Risiken, die man überall im Gebirge gewärtigen muss. An zwei Stellen führt der Wanderweg durch kurze Tunnels. Eine leicht exponierte Passage ist hangseits mit einem Drahtseil gesichert. Etwas heikel ist eine Runse kurz vor der Brücke über den Palü-Bach; bei Nässe kann deren Durchquerung ziemlich anspruchsvoll sein.
[Dieser Abschnitt ist derzeit wegen Steinschlaggefahr gesperrt. Eine Umleitung ist auf SchweizMobil eingezeichnet. Sie führt zum Lagh da Palü hinunter und von dort hinauf zum Lagh da Caralin, kostet also eine Menge zusätzliche Höhenmeter.]
Entlang der Acqua da Palü (Palü-Bach) führt ein schmales, kaum sichtbares Weglein hinüber zum Lagh da Caralin. Die Ebene am See ist ein ebenso eindrücklicher wie unheimlicher Schauplatz. Die einstige Todeszone des ewigen Eises hat sich im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte langsam, aber mittlerweile deutlich sichtbar zu begrünen begonnen. Noch immer dominieren zwar rötlich-braun schimmernde Felsplatten und Steine den Grund, doch dazwischen spriessen überall Pflänzchen und setzen bunte Farbtupfer in die lebensfeindliche Umgebung.
In die Faszination gegenüber dem werdenden Leben fliesst an diesem aussergewöhnlichen Schauplatz auch Beklemmung, denn das florale Spriessen wäre nicht möglich ohne das unverminderte Schwinden des Gletschers. In dieser Perspektive erscheinen die Bergbäche, die auf der gegenüberliegenden Seite des Sees über die Fluh donnern, denn auch nicht nur in vorteilhaftem Licht. Ästhetisch sind sie zwar überaus reizvoll, doch im Grunde sind sie nichts anderes als das Blut des sterbenden Gletschers.
Vom See marschiert man zunächst zurück zur Holzbrücke über die Acqua da Palü zurück. Danach geht es praktisch ebenen Wegs an den südöstlichen Rand des Geländekessels. Nun folgt ein ruppiger Abstieg zunächst über Grasland, danach durch Lärchenwald. Endlich hat man die Schwemmebene der Acqua da Palü erreicht und gelangt dem Bach entlang zum künstlich aufgestauten Palü-See.
Der jetzt folgende zweite Teil des Abstiegs ist etwas weniger steil und führt am Rande der Palü-Schlucht zum Elektrizitätswerk Cavaglia. Von dort geht es ebenen Wegs zur Bahnstation Cavaglia. Wer Zeit hat, unternimmt noch einen Abstecher in den nahen Gletschergarten. Dessen Strudeltöpfe sind an Zahl und Grösse jenen des ungleich bekannteren Namensvetters in Luzern deutlich überlegen.