Wanderung Kiental-Hohkien-Schilthorn
Hintenherum zum Schilthorn
Wanderzeit: 6 h 50 min
Schwierigkeitsgrad: T3 Anspruchsvolles Bergwandern *
Saison: Juli - Oktober
Als Hausberg von Mürren wird das Schilthorn üblicherweise vom Lauterbrunnental aus begangen. Eine interessante, allerdings lange und anstrengende Zustiegsvariante führt vom Kiental herauf. Der letzte Abschnitt verläuft exponiert auf Gratwegen und erfordert Schwindelfreiheit. Praktisch durchwegs Naturwege.
Detaillierte Routenbeschreibung
Lässt sich Frieden mit einer Revolution erzwingen? Darüber disputierten im April 1916 im Hotel Bären in Kiental die 45 Teilnehmer der Zweiten Internationalen Sozialistischen Konferenz, eines Folgetreffens der legendären Konferenz von Zimmerwald. Anwesend waren Vertreter aus ganz Europa, darunter auch Lenin. In langen Redeschlachten stritten sich Bolschewiken und Gemässigte so heftig, dass die Hotelbesitzer um ihre Gläser fürchteten. Dennoch einigten sich die Delegierten schliesslich auf die Veröffentlichung eines flammenden Manifests gegen Unterdrückung und Krieg.
Ob Lenin und seine Genossen seinerzeit auch die Reize der Gegend erkundeten, ist nicht überliefert. Wahrscheinlich hatten sie bei allem Gläserklirren und Klingenkreuzen keine Musse dazu. Vielleicht fanden sie immerhin zwischendurch Gelegenheit, die prachtvolle Bergwelt zu bestaunen. Besonders der Blick taleinwärts zum majestätischen Blüemlisalpmassiv ist eindrücklich.
Ein weiteres Juwel blieb den Konferenzteilnehmern allerdings mit Sicherheit verborgen: Das Schilthorn versteckt sich hinter anderen Gipfeln und ist vom Kiental aus nur nach einem ausgedehnten und anstrengenden Marsch erreichbar. Die Tour ist indessen sehr lohnend, denn sie führt durch eine überaus abwechslungsreiche Gebirgslandschaft und wird am Schluss mit einer einzigartigen Rundsicht gekrönt.
Vom Dörfchen Kiental aus gilt es zunächst das langgezogene Tal des Spiggebachs zu durchqueren. Der Auftakt ist mit mässiger Steigung verbunden, doch vom Spiggengrund an wird es steiler. Über Schwand und Glütschnessli geht es hinauf nach Hohkien. Die Alp liegt auf einem weiten, flachen Boden am Fuss mächtiger Felstürme. Mittendrin in diesem urwüchsigen Idyll setzt der Wasserfall des Färrichbachs einen zauberhaften Akzent.
Zunächst sanft, dann allmählich steiler geht es über Alp- und Schafweiden aufwärts. Zusehends karger wird die Vegetation, immer felsiger die Umgebung. Schliesslich gelangt man an ein nahezu senkrechtes Felsband, das zunächst völlig unwegsam aussieht. Aus der Nähe erkennt man jedoch einen schmalen Steig, der sich eine schmale Rinne hinaufzieht. Geübten Berggängern bietet die mit Drahtseilen gesicherte Passage keine Schwierigkeiten.
Von sprödem Reiz ist die grossartige Weite der Steinwüste am Rote Härd. Das bröcklige Gestein mit bräunlich-rotem Farbstich gemahnt an eine Marslandschaft. Kaum ein Grashalm vermag in dieser grandiosen Wildnis zu gedeihen. Umso eindrücklicher ist der Gegensatz zum satten Grün des Sefinentals, das sich nun vor einem öffnet. Weit schweift der Blick über die eisgepanzerten Gipfel rings um den hinteren Teil des Lauterbrunnentals: Vom wild durchfurchten Gspaltenhorn im Süden reicht die Sicht über Breithorn, Grosshorn und Mittaghorn bis zur Äbeni Flue. Im Osten sind die Jungfrau sowie der Mönch zu erkennen und daneben auch das Ziel der Tour, der Schilthorngipfel.
Noch gut eine Stunde benötigt man dorthin, und es ist ein forderndes Finale. Im Zickzack geht es zunächst steil den Hang hoch zum Sattel zwischen Schilthorn und Chilchflue, darauf folgt ein Gratweg, der teilweise deutlich ausgesetzt ist. Besonders nordseits ins Saustal fällt das Gelände mitunter fast senkrecht ab, und auch südwärts gegen das Sefinental hin sind die Hänge sehr steil. Mehrere Abschnitte sind mit Seilgeländern ausgiebig gesichert, eine besonders abschüssige Stelle wird sogar mit einer wuchtigen Stahltreppe überwunden, doch zwischendurch gibt es kurze Passagen, die ohne solche Hilfsmittel bewältigt werden müssen und daher einzig für schwindelfreie und trittsichere Wanderer geeignet sind.
Total ist die Rundsicht auf dem Gipfel des Schilthorns. Sie wird von Eiger, Mönch und Jungfrau dominiert, doch auch die Blüemlisalp bietet einen wunderschönen Anblick, und über den Thunersee hinweg sieht man bis zum Jura, in die Vogesen und zum Schwarzwald. Die reizvollste Art, dieses Panorama zu geniessen, ist ein Kaffeehalt im Drehrestaurant Piz Gloria.
Dass man den Schauplatz mit High-Heels-Trägerinnen und Flipflop-Trägern zu teilen hat, tut dem Erlebnis keinen Abbruch, denn man darf sich vor Augen halten: Nicht faul mit der Seilbahn, sondern dank eigener Muskelkraft ist man hierhin gelangt. Die Bequemlichkeit einer Bahnfahrt sollte der Wanderer allerdings nicht vorlaut verschmähen, denn für die Rückkehr ins Tal ist sie eine gelenkschonende Alternative zum beschwerlichen Abstieg auf abschüssigen Bergwegen.