Wanderung Interlaken-Abendberg
Morgenspaziergang auf den Abendberg
Wanderzeit: 4 h 15 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: Mai - November
Interlaken ist als bedeutendes Zentrum des Adventure-Sports und als Zugangstor zur Jungfrau-Region weltweit bekannt. Doch auch sanftere Formen des Tourismus kommen hier zum Zug. Wer die Rundwanderung zum Abendberg unter die Füsse nimmt, lässt den Rummel rasch hinter sich. Stattdessen gibt es stille Wälder und einen reizvollen Aussichtspunkt zu entdecken. Wenig Hartbelag ausserhalb des Siedlungsgebiets.
Detaillierte Routenbeschreibung
Abend, das ist nicht nur eine Zeit-, sondern auch eine Ortsangabe, jedenfalls im Raum Interlaken: Wenn man dort vom Abendberg spricht, meint man eine Anhöhe im Südwesten des städtischen Dorfs. Der Abendberg ist kein richtiger Berg und auch nicht sonderlich hoch, trotzdem geniesst man dort eine schöne Aussicht auf den Brienzersee und das «Bödeli», den flachen Schwemmboden der Lütschine mit den Siedlungsgebieten von Wilderswil, Matten, Interlaken und Unterseen. Er lässt sich auf einer Rundwanderung erreichen, die einen relativ hohen Anteil an Waldpassagen aufweist und sich daher auch für heisse Sommertage gut eignet.
Vom Bahnhof Interlaken West wandert man der Rugenparkstrasse entlang bis zur Talstation der Heimwehfluh-Standseilbahn, gelangt dann auf der Wagnerenstrasse in den Wald und steigt dort auf einem mässig steilen Kiesweg zur Heimwehfluh auf. Etwas unterhalb der Bergstation mündet die Wanderroute in ein asphaltiertes Strässchen, das sanft aufsteigend durch den Wald am Grossen Rugen führt. Die Wegoberfläche wechselt schon bald wieder zu Kies. Die Steigung nimmt zu, man gewinnt zügig an Höhe. Wohl verstellen Bäume vielerorts die Aussicht, doch wiederholt erlauben Lücken im Wald Ausblicke zu Thunersee, Niederhorn und Hardergrat.
«BKW Bödeli» – diesen kuriosen Flurnamen trägt ein Aussichtspunkt in der Nähe eines Hochspannungsmastens. Obwohl der Wald auch hier nur ein eingeschränktes Panorama freigibt, lohnt sich der kleine Umweg: Zwischen den Bäumen öffnet sich eine schöne Aussicht zum Niesen. Bei der Waldhütte im Gebiet First stehen Ruhebänke und eine Feuerstelle bereit. Allzu opulent sollte man allerdings noch nicht Rast halten, denn danach wird es ordentlich stotzig. Im Steilhang windet sich ein schmaler Zickzackweg energisch in die Höhe.
Nach einer letzten scharfen Kurve lichtet sich der Wald und eine überraschend üppige Aussicht öffnet sich – man ist auf dem Abendberg. Der Standort ist geschichtsträchtig. 1841 eröffnete hier Johann Jakob Guggenbühl eine Heilanstalt für junge geistig behinderte Menschen. Der Zürcher Arzt gilt als Vorreiter eines fördernden Umgangs mit Behinderten. Manche Zeitgenossen bekämpften seine Methoden allerdings vehement. Sein Intimfeind war der Arzt Adolf Vogt, der 1858 ein «Verdammungsurteil» der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft erwirkte.
Nach Guggenbühls Tod wurde der Abendberg zu einem einfachen Hotel umfunktioniert. Längst ist auch dieses nicht mehr in Betrieb. Das Gebäude wird heute privat genutzt. Noch immer verraten drei stattliche Kastanienbäume auf der mittlerweile mit Rasen bedeckten einstigen Hotelterrasse, dass hier einst gewirtet, gefeiert und promeniert wurde. Die Aussicht ist grossartig: Zwischen der Augstmatthornkette und der Faulhornkette liegt der intensiv grünblau schimmernde Brienzersee.
Ebenen Wegs gelangt man hinüber zur Wegverzweigung Schwendiwald. Ein alter, mit Natursteinen gepflästerter Viehzügelweg führt hinunter nach Ingelschwand und weiter zum «Naturgarten Wilderswil», einem kleinen Teich mit angrenzender Trockenwiese oberhalb des Dorfmuseums, das am südwestlichen Dorfrand von Wilderswil liegt. Im Talboden gelangt man praktisch ebenen Wegs zur Ruine Unspunnen, wo 1805 ein grosses Alphirtenfest zum Zweck der Versöhnung zwischen städtischen und ländlichen Gebieten des Kantons Bern über die Bühne ging.
An der Rugen-Brauerei und der Wegverzweigung beim Hotel Unspunnen vorüber gelangt man zur Trinkhalle, einem einzigartigen Relikt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Errichtet wurde es im Auftrag des Hoteliers Conrad von Rappard, der nicht nur das Hotel Giessbach am Brienzersee, sondern auch das nahe Hotel Jungfraublick betrieb (das heutige Schulhotel Regina).
Seinerzeit florierten wie anderswo im Alpenraum auch in Interlaken Trinkkuren mit Molke. Die Jungfraublick-Gäste promenierten auf einem «Ringweg», der eigens für sie angelegt worden war und ohne grosses Gefälle rund um den Kleinen Rugen führt. Ihr Ziel, die Trinkhalle, ist ein ungewöhnliches Bauwerk: Es verfügt über Boden, Dach und Wände, letzteres allerdings nur auf drei Seiten; gegen Süden hin ist die Halle offen, was den molketrinkenden Kurgästen auch bei misslichem Wetter eine freie Sicht zur Jungfrau erlaubte.
Über den Ringweg, der als Themenweg über die Familie von Rappard und insbesondere die Kunstmalerin Clara von Rappard ausgestaltet ist, geht es zurück nach Interlaken West. Ein letztes Kuriosum am Waldweg ist der «trockene Wasserfall» – eine malerische Felswand, vor der früher Einheimische und Touristen für Erinnerungsfotos posierten.